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Seeforellen im Vierwaldsättersee mit Hightech-Chips


Forscher verfolgen die wandernden Fische im Vierwaldstättersee mit Hightech-Chips.


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(Bald geht ein Teil von ihnen auf die grosse Reise: Schwarm von jungen Bachforellen.)
Foto: Nature Picture Library (Alamy Stock Photo)


Als wahre Prachtexemplare kehren Forellen aus dem See in ihren Heimatbach zurück. Bis zu ein Meter können sie gross sein. Ihr silbrig grünlich oder bläulich schimmernder Körper strotzt nun vor Energie. Während ihrer Wanderschaft haben sie sich in stattliche Raubfische verwandelt und nennen sich nun Seeforellen. Dagegen entwickeln sich ihre im Bach zurückgebliebenen Artgenossen, die weiterhin Bachforellen heissen, in eine völlig andere Richtung. Sie sind meist etwas kleiner und dunkler, erscheinen manchmal fast braun und haben oft grosse, leuchtend rote Punkte.

Dennoch gehören Seeforellen und Bachforellen weiterhin zur ein und derselben Art und können sich gemeinsam fortpflanzen. Ob gross oder klein, dick oder dünn scheint dabei keine wesentliche Rolle zu spielen. Kein Wunder, dass die Vielfalt innerhalb einer Population nicht nur im äusseren Erscheinungsbild der einzelnen Individuen, sondern auch in ihrem Verhalten gross sein kann. Doch warum wandern nur einige und andere nicht? Was treibt sie in die Ferne? Die Gene oder die Umwelt?


Zurück zur Geburtsstätte

Um mehr darüber zu erfahren, haben Wissenschaftler von der Eidgenössischen Wasserforschungsanstalt Eawag im Frühling insgesamt 1667 Forellen aus 13 Zuflüssen des Vierwaldstättersees besendert. «Dazu haben wir die Fische in ihrem jeweiligen Heimatbach mithilfe von einem leichten Stromfluss zwischen Anode und Kathode angelockt, mit einem Kescher eingefangen und unter Betäubung einen kleinen PIT-Tag in deren Bauchhöhle gepflanzt», sagt der Forscher Jakob Brodersen. Unmittelbar danach habe man sie wieder in den Bach gesetzt.

Die 23 Millimeter langen Hightech-Chips sind vom Aufbau identisch mit denen, die Haustieren wie Hunden und Katzen eingesetzt werden. Sie beeinflussen die Fische nicht beim Schwimmen, liefern jedoch wertvolle Informationen über die einzelnen Individuen – zum Beispiel, wann sie zur Paarung und zum Ablaichen vom See in ihre Geburtsbäche aufsteigen. Die Eawag-Forscher haben bei den markierten Jungfischen auch gleich noch Proben der Fettflosse für genetische Untersuchungen genommen.


Gefangen im See

Ähnlich wie Seeforellen hierzulande ziehen die Flussheringe an der Ostküste der USA als Jungfische aus Süsswasserseen ins Meer und schwimmen ebenfalls erst zur Paarung wieder in ihre heimatlichen Gewässer. Auch diese wandernden Fische hat Jakob Brodersen untersucht, um herauszufinden, was geschieht, wenn sie daran gehindert werden.

Denn in manchen Gebieten ist das natürliche Wanderverhalten der Flussheringe durch menschliche Eingriffe nicht mehr möglich: Siedler bauten dort während der Kolonisation vor rund 300 Jahren Dämme und versperrten den Fischen somit den Zugang zum Meer. In einigen dieser künstlich isolierten Seen kommen heute gar keine Flussheringe mehr vor. In anderen haben sich die Flussheringe dagegen über Generationen hinweg den veränderten Bedingungen gut angepasst und ihr Verhalten im Laufe der Zeit vollständig geändert: Sie leben mittlerweile nur noch im offenen Wasser.

Wie Brodersen zusammen mit Kollegen in den USA vor kurzem in der Fachzeitschrift «Nature Communications» berichtet hat, wirkt sich dieses eigentlich für Flussheringe untypische, aber an die neuen Verhältnisse angepasste Verhalten sogar auf das gesamte Ökosystem des Sees aus – bis an die Spitze der Nahrungskette, wo grosse, kräftige Ketten­hechte zu den Top-Prädatoren gehören. «Der Jäger ist praktisch der neuen, fetten Beute gefolgt», erklärt Brodersen. Und habe auf die veränderte Situation reagiert.

So lauert ein Teil der Ketten­hecht­population nicht mehr Sonnenbarschen im Schilf am Ufer auf, sondern hat mehr und mehr die einst ins Meer wandernden Flussheringe ins Visier genommen und diese als lukrativen Leckerbissen entdeckt. Dafür haben sich die Hechte neue Jagdtechniken angeeignet. Denn im Freiwasser dauert eine Verfolgung deutlich länger und benötigt auch mehr Ausdauer.

Um Jäger und Beute einzufangen und zu analysieren, haben die Wissenschaftler jeweils am Nachmittag viermal zu verschiedenen Jahreszeiten Netze in 12 verschiedenen Seen an der Ostküste aufgestellt. Am Abend gingen die Forscher dann zurück, um zu schauen, was ihnen ins Netz gegangen ist.


Ein gefundenes Fressen

Den Fang haben sie anschliessend geradezu kriminalbiologisch inspiziert. Neben den üblichen DNA-Tests führten sie unter anderem eine Untersuchung des Mageninhalts der Tiere durch. Was war ihr letztes Mahl? Und was frisst ein Kettenhecht im offenen Wasser am meisten? «Das Ergebnis war eindeutig», sagt Brodersen. Vor allem Flusshering, Flusshering und nochmals Flusshering.

Erstaunlich ist, dass auch Ketten­hechte in den beiden unterschiedlichen Lebensräumen – vergleichbar mit der See- und Bachforelle – zwar immer noch zur selben Art gehören, aber völlig anders aussehen. Im Freiwasser sind sie wesentlich muskulöser und gleichzeitig hydrodynamischer gebaut, haben jedoch einen kleineren Kopf. Ideal für eine ausdauernde, aber auch energiezehrende Verfolgungsjagd durch die Weiten des Sees.

Auch hierzulande, im Vierwaldstättersee, gibt es Ufer- sowie Freiwasserhechte. Die Formenvielfalt im See sei gross und vor allem durch Veränderungen der Umwelt auch ständig im Fluss, sagt Brodersen. Doch bevor er auch noch die hiesigen Hechte unter die Lupe nehme, hoffe er erst einmal, dass er diesen Herbst schon ein paar seiner Forellen wiedersehe. Vermutlich sei es aber noch zu früh und sie kämen erst nächstes Jahr zurück.

(Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 05.11.2015, 23:02 Uhr)